
Aktuelles
Von der Völkerkundesammlung zum Forum der Kulturen der Welt


Bericht der Vorsitzenden 2017-18
125 Jahre Völkerkundemuseum
Ja liebe Gäste, eigentlich hätten wir 2018 den 125. Geburtstag des Völkerkundemuseums feiern wollen. Denn 1893 wurde die Völkerkundesammlung im Museum am Dom eröffnet – der Museumsbau am Dom wurde getragen von der Stadt und ermöglicht durch ein großes finanzielles Engagement der Sparkasse wie auch der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit, die nicht nur Eigentümerin der Sammlung bzw. der Sammlungen war, sondern auch jährlich eine große Summe für den Museumsbetrieb zur Verfügung stellte.
Ja, und jetzt bleibt uns nur, daran zu erinnern.
Brigitte Templin ist vor 10 Tagen auf die Entstehung und Gründungsphase sowie knapp auf die Verluste am Palmsonntag 1942 eingegangen, als das Museum am Dom zu Schutt und Asche wurde.
Ich möchte heute ein paar Worte zur Übertragung der Sammlung an die Stadt bzw. an den Staat Lübeck im Jahr 1934 und zur schwierigen Rückkehrphase nach dem Zweiten Weltkrieg sagen, bevor 1984 mit dem Zeughaus endlich wieder ein Haus der Völkerkunde zur Verfügung stand.
Dazu konnte ich Archivalien im Stadtarchiv zu den Themen Museumsangelegenheiten, Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Gemeinnützige Gesellschaft, Museum für Völkerkunde, Verstaatlichung der Museen und Amt für Kultur benutzen.
Carl Georg Heise, der Leiter von St. Annen, hatte schon 1920 in einer Denkschrift dafür plädiert – also kaum dass er nach Lübeck gekommen war ---, dass die Kunstsammlungen (die sich ebenfalls Eigentum der GEMEINNÜTZIGEN waren) von der Stadt übernommen werden. Dazu gab es erste Verhandlungen, die aber zunächst ruhten. 1930 nahm man sie jedoch wieder auf; von der Übernahme der Völkerkundesammlung war damalsk eine Rede.
Unter dem Eindruck der wachsenden finanziellen Probleme in der Weltwirtschaftskrise, die auch die Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit trafen, die ihren Verpflichtungen in Museumsangelegenheiten nicht mehr nachkommen konnte, kam 1931 / 32 in der Gesellschaft jedoch die Idee auf, dass die Stadt bzw. der Staat Lübeck auch die Sammlungen im Dommuseum gänzlich übernimmt. Der Finanzsenator sperrte sich dagegen, und der Vertragsentwurf zur Eigentums-Übertragung betraf wieder nur die Sammlungen in St. Annen, in der Katharinenkirche und im Behnhaus.
Das änderte sich mit der Machtübernahme durch die NSDAP 1933 und der erzwungenen Gleichschaltung schlagartig. Direktor der Gemeinnützigen wurde der Parteigenosse der NSDAP Hans Sellschopp. Er telefonierte sicher regelmäßig mit den Verantwortlichen im Rathaus und legte schon 1933 einen Vertragsentwurf vor, der auch die Übertragung der Sammlungen im Dommuseum an den Staat vorsah.
Dieser Vertragsentwurf wurde umgehend von den Mitglieder des Museumsausschusses der Gemeinnützigen gebilligt
Einbezogen in die Übertragung waren jetzt das Völkerkundemuseum, das Naturhistorische Museums, das Handelsmuseum, die Sammlung von Gipsabgüssen und die graphische Studiensammlung. Als Gegenleistung wurden der Gemeinnützigen die aufgelaufenen Verbindlichkeiten erlassen.
Die formelle Verstaatlichung erfolgte am 1. April 1934 – nicht allein aus finanziellen Gründen, wie in den Lübeckischen Blättern extra betont wurde. Denn § 4 des Vertrages besagt:
„Lübeck übernimmt die Verpflichtung, die Sammlung im Sinne des Kulturideals der nationalsozialistischen Bewegung zu verwalten“.
Die Sammlungen sollten gepflegt und erhalten werden. Und dann brannte am Palmsonntag 1942 das Museum am Dom – auch vom Völkerkundemuseum gingen wichtige Teile in den Flammen verloren: die gesamte Fotosammlung, große Teile der Sammlung Tessmann und die Bibliothek. Aber 80 % der Sammlung war durch vorherige Auslagerung gerettet; ab 1952 wurden dies Stücke aus Ersparnisgründen und nach einem Bürgerschaftsbeschluss zunächst für fünf Jahre und gegen eine Art Mietzahlung im Hamburger Völkerkundemuseum deponiert. Der Wert der Sammlung wurde damals schon auf 4 Millionen DM geschätzt.
Es wurden mehr als fünf Jahre : Im jährlichen Sachstandsbericht der Museen von 1960 vermerkte der damalige Museumsdirektor Fritz Schmalenbach:
Zu den drei wichtigsten, neu zu lösenden Problemen gehört „die Unterbringung der Völkerkundesammlung, die seit der Zerstörung des Dom-Museums kein Haus hat“. Im neugebauten Dommuseum fand sich kein Platz für die Völkerkundesammlung; dies hatte die Kulturverwaltung 1958 Fritz Schmalenbach mitgeteilt. Deshalb hatte er 1960 ein sehr elegantes historisches Gebäude für die Sammlung im Auge: die Linde´sche Villa !
Zudem hatte er sich auch Gedanken zu einem neuen Ausstellungskonzept gemacht – orientiert am Museum Rietberg in Zürich.
Also alles keine neuen Probleme bzw. Ideen !
Viel Interesse an der Rückführung zeigte die Kulturverwaltung jedoch nicht – im Gegensatz zur Presse:
Auch das ist ähnlich wie heute !
„Lübecker Kostbarkeiten schlummern in Hamburg“
“Lübecks völkerkundliche Sammlungen müssen wieder zurück in die Hansestadt“
„Wie stehen die Chancen für das Völkerkundemuseum ?“
Direktor und Vorsteher der Gemeinnützigen erhoben ebenfalls ihre Stimmen und forderten die Rückführung – aber es passierte erst einmal nichts.
Die Diskussion flammte erst 1967 / 68 erneut auf. Diesmal hatten die Hamburger die Initiative ergriffen und Lübeck „die Pistole auf die Brust gesetzt“.
Hieß: Entweder nimmt Lübeck die Objekte zurück oder macht mit Hamburg einen Leih-Vertrag über 25 Jahre, damit das Hamburger Völkerkundemuseum mit der Lübecker Sammlung planen und für eigene Projekte arbeiten kann.
Daraufhin bewegte sich die Kulturverwaltung in Lübeck. Die Bürgerschaft sprach sich im Mai 1969 für die Rückführung aus; der Umzug in ein Gebäude in der Julius-Leber-Straße erfolgte im Dezember 1969. Und zum 1. Mai 1970 trat ein Ethnologe seinen Dienst an, um die Sammlung zu ordnen. Schon 1971 wurde er von Helga Rammow abgelöst, der langjährigen Leiterin der Sammlung.
Ausstellungsmöglichkeiten gab es damals nicht. Das änderte sich erst, als die Herrn Dr. Knüppel (Bürgermeiste), Dr. Schurig (Vorsitzender der Geographischen Gesellschaft) und Rudolfo Groth (Mäzen) die Initiative ergriffen: Rudolfo Groth stellte 500 000, - DM bereit, aus seinem Testament flossen weitere 200 000,- DM an die Stadt, um das Zeughaus an der Parade für Kulturelle Zwecke nutzen zu können. Bundes- und landesmittel in ungefähr gleicher höhe kamen hinzu. 1984 konnte Frau Dr. Rammow das Zeughaus als Haus der Völkerkunde übernehmen.
Die Sammlung selbst wurde allen Kontroversen zum Trotz immer als sehr wertvoll beschrieben.
Wobei wertvoll einerseits den finanziellen Wert meinen kann, anderseits aber auch den kulturellen Wert.
Wer den Band 6 der Lübecker Beiträge zur Ethnologie zum Lübecker Weltreisenden Gustav Pauli in der Hand gehalten hat, der oder die wird sich vielleicht verwundert fragen , ob auch derart unspektakuläre Objekte, wie die abgebildeten, wertvoll sind !
Die Antwort von Dr. Lars Frühsorge, dem Verfasser lautet: eindeutig ja.
Denn kaum jemand hat vor 100 oder 150 Jahren ähnlich einem Tourist auch einfache Stücke, Hemdchen, kleine Schiffsmodelle, die extra für Reisende angefertigt wurden, Basttaschen etc. mitgenommen.
Es ist eine Vielzahl von solchen Alltags-Objekten, die die Lübecker Völkerkundesammlung auszeichnet.
Liebe Brigitte Templin, du hast als Herausgeberin und als Verfasserin mit den bisher erschienen sieben Bänden der Lübecker Beiträge zur Ethnologie ein starkes Stück Provenienz-Forschung geleistet: Zu Rudolf Karutz, zu Jürgen Tessmann, zu Hans Jobelmann und zu Gustav Pauli.
Wenn wir jetzt noch Julius Carlebach und Horst Antes hinzuzählen, dann sind bisher sechs Sammler oder Mäzene recht gut bekannt - sechs von knapp 1 000 !!!
Es bleibt also noch viel zu tun.
Ich glaube, ich plaudere kein Geheimnis aus, wenn ich sage, Ende Februar ist für Frau Dr. Templin Schicht. Liebe Brigitte, Du geht’s in Rente Wir alle gönnen es Dir.
Aber: Mit Dir geht ungeheuer viel Wissen über die Lübecker Völkerkundesammlung in Pension ------ hoffentlich nicht verloren ---- das wäre ein Desaster für die Sammlung, für die Kulturstiftung und für Lübeck.
Und da Dein Nachfolger oder Deine Nachfolgerin auch nicht in Sicht ist, ist die Sammlung derzeit kopflos.
Herr Bürgermeister Saxe hat bisher einer Stellenausschreibung nicht zugestimmt.
Herr Lindenau – wir vertrauen auf ihre Unterschrift.
Und natürlich auch auf Ihr Engagement für die Völkerkundesammlung.
Immerhin gibt das Konzept der SPG-Fraktion in der Bürgerschaft „Auf Kultur gebaut“ der Völkerkunde sogar wieder einen eigenen Stellenwert.
Und nun der Bericht in den Lübeckern Nachrichten am 10. Januar 2018
„Völkerkunde häppchenweise“
Vor drei bzw. vor vier Jahren geisterten Ideen durch die Stadtverwaltung, sowohl Teile der Völkerkundesammlung zu verkaufen als auch das Depot im Zeughaus aufzulösen und die Sammlung schnell an einem anderen – ungeeigneten – Ort unterzubringen. (Zur Erinnerung: um das Standesamt ins Zeughaus zu verlegen und die Linde´sche Villa verkaufen zu können). Politisch war dies dank der Initiativen der SPD-Fraktion nicht durchzusetzen. In der Bürgerschaftssitzung vom 28. Januar 2016 wurde dann nicht nur auf die Bedeutung der Völkerkundesammlung sowie auf Dauer und Kosten eines eventuell erzwungenen Transports in ein anderes Depot hingewiesen, sondern mit großer Mehrheit u. a. gefordert, im Rahmen der Konzeptentwicklung für die Völkerkunde den Erwerb der Bundesbankgebäude am Holstentor zu prüfen resp. ein Kaufinteresse zu signalisieren.
Soweit waren wir also schon. Und nun das Konzept von Frau Senatorin Weiher, das vorsieht, dass Stücke oder Teile der Völkerkundesammlung hier und dort genutzt, verwendet und / oder ausgestellt werden – „häppchenweise“ -, wie die Überschrift in den LN besagt. Im besten Fall als „Appetit-Häppchen, die Hunger auf mehr machen. Oder doch ehr eine Verlegenheitslösung ? Oder gar als preiswerter Lückenbüßer gedacht ? Verfügt die Sammlung doch über hervorragende Stücke. Man muss also nicht teuer ausleihen sondern kann preiswert Lücken füllen !
Wir – das sind die Mitglieder der Gesellschaft für Geographie und Völkerkunde – wehren uns vehement gegen den Plan, die wertvolle Völkerkundesammlung aufzuteilen. Es ist eine Sammlung, die das Recht hat, gleichberechtigt neben den anderen Lübecker Kunstsammlungen und historischen Sammlungen zu stehen. Wir fordern deshalb seit Jahren von den Kulturpolitikern und Kulturpolitikerinnen der Stadt die Wiedereröffnung der Völkerkunde – und wir vertrauen auf Einsicht und Interesse in der Bürgerschaft. Der Mut, um den Knoten zu zerschlagen und der Völkerkundesammlung endlich ein eigenes Haus zurückzugeben, der scheint Frau Kultursenatorin Weiher jedoch zu fehlen.
Wir gehen nicht davon aus, dass das Neue so aussieht wie das Alte. Aber wir möchten, dass der Knoten zerschlagen wird und endlich substanziell über die Völkerkundesammlung in Lübeck nachgedacht wird.
Denn es ist nicht nur eine sehr wertvolle Sammlung, sondern auch eine Sammlung, aus der heraus auf aktuelle Probleme reagiert werden kann – seien es Probleme vor Ort oder seien es Fragen von globaler Bedeutung.
Wir, das sind die aktiven Mitglieder unseres Vereins , diskutieren deshalb derzeit über die Richtung, in die sich ein zeitgemäßes Völkerkundemuseum bewegen sollte – z. B. als Forum der Kulturen der Welt. Und wir werden unsere Gedanken im „Geburtstagsjahr“ der interessierten Öffentlichkeit vorstellen.
Vielleicht kommen heute auch von Ihrer Seite weitere Anregungen.
Die Diskussion ist eröffnet !