Gespräch über Äquatorialguinea mit Pedro Mba

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Bericht über den Gesprächsabend am Freitag, den 10. Juni 2022 mit Herrn Pedro Mba Ndong Nseng, Dokumentarfilmer und Filmproduzent aus Äquatorialguinea im Haus Eden, Lübeck

Eingeladen hatte die Gesellschaft für Geographie und Völkerkunde zu Lübeck (im Folgenden kurz unser Verein genannt). Gefördert wurde die Veranstaltung durch die Friedrich Bluhme und Else Jebsen-Stiftung und die Kurt-Werner und Anneliese Mellingen-Stiftung. Als Moderatorin und Moderator führten Frau Dr. Brigitte Templin und Herr Dr. Thomas Klockmann durch den Abend. Beide sind Ethnologen, beide haben schwerpunktmäßig über die Person bzw. über die Tagebücher von Günther Tessmann in der Lübecker Völkerkundesammlung gearbeitet und beide sind Mitglieder unseres Vereins.

Themen und Struktur

 Vorstellung von Pedro Mba als einen Repräsentanten bzw. als eine Stimme der aktuellen, international vernetzten Kulturszene in Äquatorialguinea, der als Dokumentarfilmer u. a. den Spuren der alten Stammeskulturen folgt

  • Kurze Darstellung der Person Günther Tessmann und seiner Afrika-Expedition von 1907-1909 (nach Südkamerun, Gabun und Spanisch Guinea, dem heutigen Äquatorialguinea), der einerseits unter dem Mantel kolonialen Machtgefälles agierte und Ethnografika aus den bereisten Ländern nach Lübeck brachte, andererseits als einer der Ersten die Kultur der Fang würdigte und dokumentierte
  • Fünf Themenblöcke mit Fragen
  • zu Land und Leuten in Äquatorialguinea
  • zur zeitgenössischen Kulturszene
  • zur Bedeutung der alten Stammeskulturen bzw. der alten Kulte und ihrer kultisch genutzten Objekte im heutigen Äquatorialguinea
  • zur Bekanntheit von Günther Tessmann, bzw. wieweit er erinnert wird
  • zur Sinnhaftigkeit der Rückgabe von zwei Objekten der Lübecker Sammlung

 Anlass des Gesprächsabends

Anlass für den Gesprächsabend gab das Vorhaben der Kulturstiftung Lübeck, zwei wertvolle Objekte aus dem Bestand Günther Tessmann in der Lübecker Völkerkundesammlung – eine ca. ein Meter hohe männliche Reliquiar-Figur (weltweit die einzig bekannte) sowie eine Hörnermaske der Fang - nach Äquatorialguinea zu restituieren. Der Geldwert der Objekte wird in der Beschlussvorlage der Kulturstiftung vom 19. 10. 2021 mit insgesamt ca. 2,6  Mio. Euro angegeben. Der Schätzwert auf dem Kunstmarkt bewegt sich zwischen 10 und 20 Mio. Euro. Das Restitutionsvorhaben wurde seit Ende November 2021 seitens der Kulturstiftung in Presse, Funk und Fernsehen promotet, während sich unser Verein still verhielt. Entsprechend geht der Tenor unseres sehr zurückhaltenden Positionspapiers auf unserer Webseite www.geoluebeck.de wie auch unser Appell an die Lübecker Kulturpolitik dahin,

  • bitte mit Bedacht vorzugehen - immerhin hat unser Verein fast 20 Jahre für den Erhalt und die leider immer noch nicht garantierte Neu-Eröffnung der Lübecker Völkerkundesammlung gekämpft - und
  • die Aufarbeitung des Kolonialismus und des damit verbundenen komplexen Problems der Rückgabe von Sammlungsgut als kommunikativen Prozess anzugehen – in der Stadt, mit Fachleuten und mit Betroffenen bzw. mit deren Nachfahren aus den betreffenden Ländern.

Exemplarisch sollte der Gesprächsabend zeigen, wie unser Verein sich das Vorgehen vorstellt. Dies insbesondere mit Blick auf Äquatorialguinea, einem Staat mit ca. 1,3 Mio. Einwohnern, verbreiteter Armut trotz reicher Erdölvorkommen vor der Küste und großem Demokratie-Defizit.

Fragen und Antworten

Fragenblock 1: Allgemeines zu Äquatorialguinea – Lebensweise, Glauben, Land

  • Unabhängigkeit in 1968
  • 1,3 Mio. Einwohner:innen
  • Ethnien: Fang, Bubi, Mdowa, Bujeba …
  • Hauptstadt Malabo (auf Insel Bioko)
  • Amtssprachen: vor allem Spanisch, aber auch Portugiesisch, Französisch
  • wichtigste Wirtschaftsbereiche: Erdöl und Landwirtschaft
  • ÄG unterhält Beziehungen zu vielen Ländern
  • China in ÄG besonders aktiv, vor allem im Bauwesen
  • enge Beziehungen mit den USA im Bereich der Erdölindustrie
  • Klima: 6 Monate Regenzeit / 6 Monate Trockenzeit, wobei es deutlich spürbare Verschiebungen aufgrund des Klimawandels gebe
  • hohe Biodiversität (Affen, Schildkröten etc.)
  • touristisch sehr attraktiv, de facto jedoch wenig Tourismus, auch aufgrund fehlender Förderung
  • Religionen: überwiegend Katholizismus, aber auch Protestanten, Orthodoxe und Muslime stark vertreten, traditionelle Kulte nicht mehr mit tiefem Glauben verbunden

 Fragenblock 2: Aktuelles kulturelles Leben in Äquatorialguinea

 privat finanziertes Auslandsstudium möglich

  • kulturelle Vielfalt ermöglicht und verbreitet durch Unternehmertum: Tanz, Rap, Film, z.B. gehört Pedro Mba zu einer Initiative, die an Schulen Kurse zur Filmkunst anbietet
  • Festival in 2010 durch Spanien gefördert
  • keine staatliche Kulturförderung, was sich möglicherweise ändern wird: Da Staatsbedienstete früh in Rente gehen, wurden im vergangenen Jahr rund 400 Arbeitsplätze für junge Leute frei.

 

Fragenblock 3: Alte Traditionen, Überlieferungen – welche Rolle spielen sie heute?

Erinnerungen an die Stammeskultur und die alten Religionen gibt es noch vereinzelt in den Familien, sie werden dort von alten Menschen / Großeltern / bewahrt. In der Gesellschaft und im kollektiven Bewusstsein spielen sie jedoch keine Rolle – im Gegensatz zum Christentum. Die das staatliche Selbstverständnis konstituierende Erzählung über die Geschichte Äquatorialguineas bezieht sich auf die Befreiungsbewegung. Initiativen, um über eine Rückbesinnung auf die Stammeskulturen zu neuem Selbstbewusstsein und neuem Staatsverständnis zu gelangen, sind Pedro Mba nicht bekannt.

Traditionell überlieferte Riten werden aber teilweise noch praktiziert, jedoch mehr der Form nach, wie eine Art Brauchtum. Während Menschen, die noch an „Hexerei“ glauben, als ungebildet und rückständig gelten.

 

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Fest der Botoi

Dessen ungeachtet wurden einige Zeremonien der alten Religionen von den christlichen Kirchen übernommen.

Fragenblock 4: Bekanntheitsgrad des Günther Tessmann im heutigen Äquatorialguinea

Tessmann ist in Äquatorialguinea bekannt durch seine Forschungsarbeiten zu den Fang. Sein Gehabe als eine Art Kolonialherr spielt dabei kaum eine Rolle im Gegensatz zu seiner Pionierleistung bei der Dokumentation der Stammeskultur.

Die Frage von Herrn Dr. Klockmann, ob evtl. einmal eine Straße nach Tessmann benannt würde, verneinte Herr Mba eindeutig.

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Günther Tessmann

Fragenblock 5: Restitution

Zu Beginn zitierte Frau Dr. Templin eine Passage aus Tessmanns Tagebuch zum Juni  1908; aus dieser Passage wird von der Kulturstiftung / Verwaltung / die Begründung für die geplante Restitution von zwei Objekten der Fang abgeleitet:

„Es kamen verschiedene Häuptlinge aus den näheren und weiteren Dörfern mit Geschenken. Ich wollte sie natürlich wieder beschenken, aber es war ihnen um ein ‚book‘ zu tun, d.h. um eine schriftliche Bestätigung ihrer Autorität. Obgleich ich ja garkeine ‚offizielle Regierung‘ vertrat, so liess ich mich darauf ein, wenn ich auch eine solche Anmaßung oberster Regierungsgewalt als faul und den tatsächlichen Verhältnissen garnicht entsprechend empfand. Ich handelte in diesem Fall gegen mein Gewissen, aber [S. 95] nur aus Liebe zum Lübecker Museum bzw. zur Wissenschaft, denn ich hatte gemerkt, dass ich nur so wirklich völkerkundlich wertvolle Dinge bekommen konnte. Auf diese Weise gelang es mir,  zwei schöne Ssomasken aus Holz, darunter ein wahres Prachtstück zu erlangen. [...] Das wertvollste Stück von allen meinen Erwerbungen bekam ich hier auf diese billige, aber nicht einwandfreie Art: eine prachtvoll geschnitzte Ahnenfigur von über 1m Länge.“[1]

Herr Pedro Mba Ndong Nseng stellte seine persönliche Meinung zur Restitution der beiden ihm bekannten Fang-Objekte wie folgt dar:

Die Objekte sollten dort verbleiben, wo sie über hundert Jahre lang aufbewahrt und gepflegt wurden. Zum Vergleich zog er ein spanisches Archiv heran, dessen Rückgabe an Äquatorialguinea vor einiger Zeit in der Diskussion stand mit dem Fazit: Kopien reichen auch!

Seines Erachtens bestehen in der Bevölkerung keine Bestrebungen, eine Erinnerungskultur mit Hilfe von Werken der alten Stammeskulturen bzw. der Fang zu etablieren, zumal die Fang nur eine der in Äquatorialguinea lebenden Ethnien seien. Ein evtl. geeignetes Museum ist seit Jahren geschlossen. Die Menschen identifizierten sich mehr mit dem modernen Äquatorialguinea, das sich seit 1968 nach der Unabhängigkeit entwickelt hat.

Resümee

Der Gesprächsabend war sehr informativ und hat die Position unseres Vereins bestätigt. Um die Kontakte nach Afrika wie auch das Wissen um die dortige zeitgenössische Kultur zu vertiefen, bietet sich ein Transferprojekt Lübeck-Äquatorialguinea zum Thema „Bestand Tessmann“ an. Unser Verein hofft zudem auf weitere Informationen, z. B. über die Rezeption der Tätigkeit Tessmanns, über die Museen und über die Rolle der alten Kulte in Kamerun und Gabun.

Dank

Wir danken Herrn Pedro Mba Ndong Nseng für sein Kommen und seine Bereitschaft zum Gespräch in Lübeck, ebenfalls für die Bilder, die er uns zur Verfügung gestellt hat. Im Netz findet man unter Youtube mehrere Video-Clips zu seinen Filmen und seinen Projekten, darunter das Anfang 2018 konzipierte Projekt „Age of Gods“, das u. a. von Tessmann und den beiden in Frage stehenden Objekten handelt und hoffentlich gemeinsam mit der Lübecker Völkerkundesammlung abgeschlossen werden kann.

Unser Dank gilt auch der Friedrich Bluhme und Else Jebsen-Stiftung und der Kurt-Werner und Anneliese Mellingen-Stiftung für die Förderung der

 

[1] Brigitte Templin (Hg): Günther Tessmann, Mein Leben – Tagebuch in 12 Bänden (Teil 2), Lübeck 2015, S. 121 f

Quo Vadis Völkerkunde

Die Hansestadt Lübeck will das Gebäude der Bundesbank am Holstentor ankaufen. Die Objekte können in ehemaligen Tresor gelagert werden und einige Objekte sollen dann im Holstentor gezeigt werden. So jedenfalls hat es die Stadt vor. Eine Präsentation der Sammlung im Gebäude der Bundesbank ist derzeit nicht vorgesehen. Es wird auf den Museumsentwicklungsplan verwiesen.   
Damit scheint ein neues Museum für die Völkerkunde erstmal nicht aktuell zu sein. Schade. Waren wir doch guter Hoffnung, dass nach dem Beschluss der Bürgerschaft vom November 2018 in dem nicht nur die Schließung des Museums für Völkerkunde aufgehoben wurde, sondern auch ein Konzept zur Neueröffnung von der Bürgerschaft beauftragt wurde, ein neu gestaltetes Museum in greifbare Nähe gerückt war.
Erneut scheint ein fester Standort für die Präsentation der Objekte in weite Ferne gerückt zu sein. Einige Objekte im Holstentormuseum zu präsentieren, wird der Sache nicht gerecht und auch die derzeitige Situation der Kooperation mit anderen Häusern ist unzureichend. Dabei ist das Holstentor nicht die alleinige Alternative, sowie es die Stadt vorschlägt; Räumlichkeiten im Bundesbankgebäude könnten einen dauerhaften Ausstellungsort in bevorzugter Lage ergeben. Zudem stünden mit dem Zeughaus als Haus der Völkerkundesammlung seit 1985 oder mit verschiedenen, in den letzten zwei/ drei Jahren leer gezogenen Objekten im Stadtzentrum weitere alternative Räumlichkeiten zur Verfügung. Das mit dem Bürgerschaftsbeschluss geforderte Konzept wurde noch im Winter 2019 dem Kulturausschuss vorgelegt und zur Beratung an eine Arbeitsgruppe verwiesen. Ein Ergebnis der Beratungen liegt bisher nicht vor. Dies ist einerseits in der Pandemie begründet, andererseits durch den in der Arbeitsgruppe geäußerten Wunsch, über die Räumlichkeiten im Bundesbankgebäude und über den Verfahrensstand zum Ankauf genauer informiert zu werden. Eine Behandlung des Themas im Kulturausschuss bzw. eine Einberufung der Arbeitsgruppe ist aus unserer Sicht dringend erforderlich.